Wie kommen die „bunten Steine“ in die Wand?

Was ist das Wichtigste in einer Kletterhalle? – Natürlich, das sind die Kletterrouten und Boulder! Bei diesem Thema sind die Erwartungen unserer Besucher besonders hoch. Die Klettertouren sollen vielseitig und abwechslungsreich sein, alle Schwierigkeitsgrade abdecken und regelmäßig neu „geschraubt“ werden.
Doch kaum jemand weiß, was hinter dem Routenbau alles steckt und welcher Aufwand damit verbunden ist. Um euch hier einen Einblick zu geben haben Jojo und Flo, die aktuellen Bundesfreiwilligen (BFD) im Kletterzentrum, zwei Protagonisten dazu interviewt. Zum einen Michael Ullrich, der als Routenbauer sowohl im Leistungssport, als auch im Breitensport aktiv ist. Zum anderen Christian Eberle, der gemeinsam mit der Betriebsführung für die Planung und Durchführung des Routenbaus verantwortlich ist.

Ein paar Fakten vorab: Momentan sind in unserer Kletterhalle ca. 350 Routen geschraubt. Diese werden im Schnitt 3x jährlich umgeschraubt. Rein rechnerisch ergibt das also stolze 1000 Routen pro Jahr, pro Woche also ca. 20 neue Touren. Diese Zahlen betreffen alle Bereiche unserer Halle, also Neubau & Altbau, Indoor & Outdoor. Auch wenn es auf den ersten Blick einen anderen Anschein hat, sind die allermeisten Touren im durchaus gemäßigtem Schwierigkeitsbereich (vom 3. bis zum 7. Grad). Ca. 30% entfallen auf den Leistungssport. Die Boulderbereiche werden im 2-Wochen Rhythmus umgeschraubt, im Winter sogar wöchentlich. Doch nun zum angekündigten Interview:

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BFD: Hey Michi, hey Chris, cool, dass wir nach den Wettkämpfen endlich einmal Zeit gefunden haben uns zusammen zu setzen! Ich denke ihr wart in der Wettkampfzeit genauso unter Strom, wie wir zum Teil. Kommen wir gleich zu unserer ersten Frage: Seit wann baut ihr eigentlich überhaupt die Routen und was war der Auslöser, der euch zum Schrauben gebracht hat?

Michi: Ich dachte mir schon immer, dass es doch cool sein muss, die Griffe einmal selbst an die Wand zu schrauben und eine Route zu entwerfen. 2009 war es dann soweit. Allerdings zu Beginn ziemlich selten, also ca. alle ½ Jahr einmal. Mittlerweile setzt mich Chris nun alle 2 – 3 Wochen zum Schrauben im „Breitensportbereich“ ein. Außerdem beauftragt mich der Landesverband auch ganz regelmäßig für den Bau von Trainingsrouten für den Bayernkader.

Chris: Ich habe mit Bouldern und Routenbau zeitgleich 2011 angefangen. Bouldern war cool, also habe ich das Schrauben auch einfach mal ausprobiert. Und siehe da: Macht auch Spaß! Meine Hauptaufgabe hier hat allerdings gar nicht einmal so viel mit dem eigentlichen Schrauben zu tun, sondern eher mit dem „Dahinter“.

BFD: Cool! Das klingt ja aber so, als bräuchte man dafür gar keine Ausbildung, sondern einfach ein paar Versuche und eine Halle, in der man schrauben darf. Allerdings nehme ich an, dass es durchaus eine Ausbildung gibt, oder?

Chris: Ja, mittlerweile gibt es DAV Ausbildungen zum Routenbauer für Breiten- und Wettkampfsport, die von den meisten Kletterhallen vorausgesetzt werden. Infos finden Interessenten im Ausbildungsprogramm unter „Routenbauer Breitensport“.

BFD: Alles klar. Das bedeutet aber auch, dass ihr euch euer Können noch selbst beigebracht habt, oder? Michi: Wie kommst du zum Beispiel auf die Idee, die Route oder den Boulder genau so zu schrauben, wie sie/er dann ist? Und wie schaffst du es, dass der von Chris vorgegebene Schwierigkeitsgrad dann auch am Ende raus kommt?

Michi: Natürlich profitiere ich sehr stark davon, dass ich schon sehr lange und mittlerweile auch im oberen Schwierigkeitsbereich klettere und bouldere und entsprechend einen großen Bewegungsschatz mitbringe. Im Endeffekt fange ich aber einfach an, lasse mich treiben und schaue wohin die Reise geht. Allerdings wird mir auch schon viel dadurch vorgegeben, welches Griffset ich bekomme und in welchem Sektor ich schrauben soll. Trotzdem passiert es auch mir noch oft genug, dass ich beim anschließenden Probeklettern die Route nicht so geil finde und sie gar nicht zum vorgegebenen Schwierigkeitsgrad passt. Das ist also immer auch ein bisschen Glückssache. Ein ganz wichtiger Bestandteil ist deswegen auch unsere Routendatenbank und dass diese auch genutzt wird, denn so bekommen wir ein qualifiziertes Feedback der Kletterer darüber, ob die Schwierigkeiten, die wir schrauben auch dem entsprechen, was sie sollen und wie unsere Routen beim Hallenpublikum ankommen.

BFD: Chris: Du bist ja eher für alles, was „hintenrum“ passiert zuständig. Kannst du uns ungefähr sagen, wie viel ein Griff, bzw. eine Route kostet?

Chris: Also erstmal hängt das ganz stark davon ab, ob wir eine Breitensportroute betrachten oder eine Leistungssportroute.
Im Breitensport ist das noch relativ gemäßigt, hier kosten die Griffe für eine Route etwa 300,- €. Dazu kommt der Routenbau mit 30 bis 50€ pro Tour.
Leistungssportrouten sind deutlich teurer, da allein der Schrauber schon einen höheren Tagessatz hat. Das Griffset bewegt sich aufgrund der Größe und teilweise auch besonderen Ausführung, wie Dual Texture oder ähnliches, oft in einem 4-stelligen €-Bereich für eine einzige Route. Eine „Finaltour“ der deutschen Meisterschaft kann dann auch mal über 10.000 € kosten. Nach oben ist also alles offen. Unsere Volumen kosten pro Stück etwa 100,- € aufwärts, werden allerdings nicht jedes mal neu gesetzt und auch von Breitensportrouten mit benutzt.

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Grundsätzlich werden die Leistungssportrouten  in enger Zusammenarbeit mit dem Bergsportfachverband Bayern, sowie dem Bundesverband organisiert und finanziert und unterliegen auch einem anderen Umschraubrhythmus.

BFD: Da ist in einer Route aber ein ganz schöner Batzen Geld verbaut! Aber: Wie viele Griffe besitzt denn die Halle? Das ist ja vermutlich auch eine nicht unerhebliche Summe, oder?

Chris: Ja, allerdings. Grob überschlagen besitzen wir im Moment 25.000 Griffe mit einem Gesamtwert von gut 250.000 €. Hier zählen wir alle Griffe in Boulderwänden, Kletterwänden, sowie die unbenutzten im Griffelager. Es sind dennoch nie genug.

BFD: Das sind ja alles wirklich beachtliche Summen. Michi: Bei dieser Anzahl an Griffen denke ich mal, dass die Griffe, die ihr besitzt, auch aus einem guten Material sind und von guten Herstellern. Wieso kommt es bisweilen trotzdem vor, dass sich Griffe beim Klettern drehen?

Michi: Das liegt nicht an der Qualität der Griffe, sondern einfach an den Temperaturunterschieden denen die jeweiligen Griffe ausgesetzt werden. Teilweise reichen hier schon ungefähr 5 Grad aus, egal wie fest der Routenbauer die Griffe angezogen hat. Aus diesem Grund spaxen wir im Außenbereich aber auch alle Griffe.

BFD: Ok. Dann hoffen wir mal, dass euch auf der Bühne nie die Spax-Schrauben ausgehen. Nun noch ein paar Fragen zur Pflege des Materials:
Was müsst ihr nach, beziehungsweise vor jedem Schrauben tun und wie haltet ihr die Griffe sauber?

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Chris: Die Arbeit fängt mit der Überlegung an, welche Linien neu geschraubt werden sollen. Dies hängt stark davon ab, welche Routen die ältesten sind. Diese Info beziehen wir aus unserer Routendatenbank. Daraufhin schraubt ein Mitarbeiter am Vortag aus den besprochenen Linien alle Touren heraus. Danach werden die Griffe gewaschen und dann nach Farbe, Hersteller und Form sortiert und vor Eintreffen des Routenbauers wieder sortiert und vorbereitet.
Das Waschen der Griffe besteht aus mehreren Vorgängen. Zuerst werden die Griffe per Hochdruckreiniger vom Chalk befreit. Die dann chalkfreien Griffe werden anschließend in eine biologisch abbaubare Lauge gelegt und gleichzeitig mit Ultraschall von Dreck und Schuhabrieb gereinigt. Danach muss die Lauge wieder mit einem Hochdruckreiniger entfernt werden. Der gesamte Waschvorgang dauert je nach Anzahl der Griffe ca. 45 min pro Route.

BFD: Wir wussten gar nicht, dass das so ein Aufwand zwischen jedem Routenbauvorgang ist! Aber um gleich beim eigentlichen Schraubvorgang zu bleiben: Wie müsst ihr euch währenddessen absichern, gibt es eine besondere PSA (persönliche Schutzausrüstung) und was kostet diese?

Michi: Für jeden, der die Bühne fahren will oder muss, gibt es eine ausführliche Einweisung. Die Sicherheitsstandards im Hubsteiger sind Helm, Gehörschutz und Gurt, mit dem man sich an einem vorgeschriebenen Fixpunkt sichern muss. Beim Schrauben aus dem Seil wird grundsätzlich mit einer Lifeline gearbeitet. Also ein zweites Sicherungsseil, das nur im Notfall belastet wird. Dazu gilt allgemein: Am Boden muss großzügig abgesperrt werden, zum Schutz der Kletterer vor eventuell herunterfallenden Gegenständen.

BFD: Das Routenbauen ist also gar nicht so billig, wie man vielleicht denken mag. Nun noch 2 Fragen zum Schluss: Gibt es einen Unterschied zwischen Routen oder Bouldern draußen und drinnen und was muss man beachten, wenn man einen Wettkampfboulder, beziehungsweise eine Wettkampfroute schraubt?

Michi: Der Wesentliche Unterschied ist, dass es Griffe gibt, die aufgrund ihres Materials und/oder Farbe nicht im Außenbereich oder an einer  Stelle mit UV Exposition geschraubt werden dürfen. Außerdem, wie vorher schon angesprochen, verbauen wir draußen einen Verdrehschutz.
Bei Wettkampfbouldern und -routen wird natürlich ein ganz anderer Aufwand betrieben. Idealerweise ist die Route exakt so schwer, dass es nur ein einziger Athlet schafft, die Tour komplett durch zu steigen. Schließlich muss ja der beste Kletterer ermittelt werden und auch den Zuschauern soll etwas geboten werden. Dazu ist es natürlich auch ganz wichtig das Reglement einzuhalten.

BFD: Ok, Wettkampfrouten sind also nochmal ein anderes Thema. :-) Vielen Dank, dass ihr euch Zeit genommen habt, um uns diese Fragen zu beantworten.

Interview vom 15. Oktober 2019